Wie uns die Zeit dazu drängt, dass wir Unternehmen neu denken
Die Welt hat sich fundamental geändert. Das Fundament, auf welchem wir bislang unsere gesellschaftlichen Systeme gebaut haben, ist brüchig geworden. Insofern erleiden wir gerade ein ähnliches Schicksal wie die Eisbären. Sie finden sich teilweise auf abgebrochenen Eisschollen wieder, die einer ungewissen Zukunft entgegentreiben. Wir sind gefordert, mutig zu sein, und unsere Bilder von Unternehmen, Organisation, Management und Arbeit neu zu denken …
Unternehmen als Armee
Wie sieht es aus, das bislang weitgehend unhinterfragte Bild eines Unternehmens? Zunächst baut es auf das Konzept des Militärs auf – die hierarchische Ordnung mit höheren und niedrigeren Chargen, der Unternehmer oder Vorstandsvorsitzende in der Rolle des Heerführers und obersten Richters, die MitarbeiterInnen das Fußvolk, das auf die Strategie und die Gestaltung des Unternehmens kaum bis gar keinen Einfluss hat.
Am Kriegsschauplatz des Marktes sieht sich das Unternehmen einer Phalanx von Feinden gegenüber, sogenannten Mitbewerbern, gegen die es sich durchsetzen muss, um nicht unterzugehen. Das Ziel des Unternehmens besteht einerseits darin, seine Existenz zu sichern und andererseits, Land zu gewinnen – Land, im Sinne von Profit und Marktposition. Der Nutzen, den es für seine Kunden stiftet, dient dazu als Mittel zum Zweck.
Unternehmen als Maschine
Die Organisation, ein maschinenhaftes Gebilde, das grundsätzlich mechanisch funktioniert und von Managern aufgebaut, am Funktionieren gehalten und weiterentwickelt wird. Die Manager wirken gewissermaßen als Ingenieure der Maschine Organisation und sind verantwortlich dafür, dass sie, ihrem Zweck entsprechend, arbeitet. Vor allem aber obliegt ihnen die Verantwortung für Erfolg und Misserfolg des Unternehmens.
Die Mitarbeitenden werden weniger als Menschen sondern weitgehend als Funktionen gesehen. Menschen nehmen wahr, übernehmen Verantwortung, gestalten. Funktionen funktionieren. Folgerichtig besteht das vorrangige Ziel der Mitarbeiterführung darin, darauf zu achten, dass die Mitarbeitenden funktionieren, und ihren Funktionsgrad zu erhöhen.
Ein schlechter Deal für Unternehmen
Das Unternehmen möchte von seinen Mitarbeitenden einen möglichst hohen Output zu einem möglichst niedrigen Lohn. Zugleich möchten die Mitarbeitenden einen möglichst hohen Lohn für eine möglichst geringe Leistung. Ihr erstes Motiv, einen Job anzunehmen, liegt darin, am Monatsende ihr Bankkonto aufgefüllt zu sehen. Dafür bieten sie einen Teil ihrer Lebenszeit feil.
Die Mitarbeitenden suchen also ihre Existenz mit Hilfe des Unternehmens zu sichern, das Unternehmen bedient sich der Mitarbeitenden, um seine Existenz zu sichern – man möchte meinen, die ideale Voraussetzung für eine gegenseitig förderliche Symbiose. Trotzdem gibt es einen Interessensgegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, der sich fortsetzt im Interessensgegensatz zwischen Kunden und Lieferanten – der eine will möglichst wenig bezahlen und einen möglichst hohen Wert an Ware oder Dienstleistung, der andere will eine möglichst hohe Bezahlung für möglichst wenig Aufwand.
Ein besserer Deal für Unternehmen
Geht’s auch anders? Geht’s auch lebendiger, lebensfroher? Geht’s mit weniger Reibungsverlusten? Geht’s zeitgemäßer?
Beginnen wir mit der Arbeit: Mitarbeitende als funktionierende Objekte, noch dazu, wenn das Funktionieren durch alle möglichen Kontrollmaßnahmen erzwungen werden muss, das wird weder der Natur des Menschen noch unserer Zeit gerecht. Im Besonderen junge Menschen haben schlichtweg keine Lust auf Jobs, die sie zu einem mehr oder weniger anonymen Rädchen im Getriebe einer Organisation degradieren. Und die Älteren sehnen sich nach der Pension. Wie traurig ist das denn! Und wie unnötig aufwändig und schwerfällig das eine Organisation macht!
Wonach unsere Zeit verlangt, das sind MitarbeiterInnen als eigenverantwortlich gestaltende Subjekte, Menschen, die aus eigenen Antrieb zum Besten des Unternehmens wirken und mit anderen zusammenwirken, Menschen, die in der Lage sind, sich aus eigener Wahrnehmung heraus kurzfristig auf neue Situationen einzustellen und neue Herausforderungen zu konfrontieren, lebensfrohe, optimistische, wache und achtsame Menschen, die es ermöglichen, dass sich die Verantwortung innerhalb des Unternehmens von wenigen auf viele Schultern verlagert und das Unternehmen auf diese Weise an Flexibilität und Leichtfüßigkeit gewinnt. Eine auf ein mechanistisches Bild von Organisation aufbauende Kultur und Struktur wird niemals eigenständige, selbstverantwortliche, kooperative und lebensfrohe Menschen hervorbringen.
Es ist auch zu dürftig, den Lohn der Arbeit vorrangig im Materiellen zu sehen. Eine angemessene Bezahlung vorausgesetzt, bietet Arbeit den Rahmen, Freude am gemeinsamen Gestalten zu erleben, zu wachsen, sich zu entfalten, Sinnerfüllung zu finden. Ein Gehalt allein kann doch niemals den Einsatz an Lebenszeit, Lebenskraft und Lebensenergie aufwiegen, die man in die Arbeit investiert.
Hinderliche Hierarchien
Wenn nun die Verantwortung für das Funktionieren der Organisation und deren Weiterentwicklung bei möglichst allen Mitarbeitenden liegt, wenn diese in einem hohen Maße selbstbewusst und selbstbestimmt agieren, was bleibt dann für das Management an Aufgaben übrig? Manager sind diejenigen, die die Rahmenbedingungen für das Wirken und Zusammenwirken der MitarbeiterInnen schaffen, die Orientierung geben, die Richtung und die Leitplanken für das Gestalten festlegen, die begleiten, inspirieren, motivieren, stärken, koordinieren, zusammenführen. Manager stärken die MitarbeiterInnen in ihrer Eigenverantwortung, ermöglichen ihnen selbstverantwortetes Handeln.
Hierarchie lähmt den Menschen und die Organisation. Sie erzeugt Angst und Stress, erstickt Eigeninitiative, Interesse, Neugierde und verhindert Wachstum und Entwicklung. Die Lösung liegt darin, dass wir unterschiedliche Hierarchiestufen nicht als ein Machtgefüge betrachten, sondern als unterschiedliche Ebenen von Verantwortung, die in einem ineinandergreifenden Miteinander ein Ganzes ergeben. Auch in unserem Körper kommt Herz und Hirn eine übergeordnete Verantwortung zu. Zugleich ist jeder kleinste Körperteil gefordert, aktiv und eigenverantwortlich am Wohl des gesamten Organismus mitzuwirken. Gesundheit entsteht durch das ineinandergreifende Miteinander unterschiedlicher Verantwortungen.
“Dass die Würde des Menschen unantastbar sei, ist nicht genug. Sie gehört durch alles, was wir tun, gestärkt.”
Welt im Wandel
Früher war es der Gletscher, der Fels und Geröll in einem stabilen Zustand hielt. Nun aber ist der Gletscher geschmolzen. Der Berg ist in Bewegung geraten. Wir wissen heute nicht, in welcher Welt wir morgen erwachen. Resilienz ist die Fähigkeit, die diese Situation zuvorderst von uns verlangt, so leichtfüßig aufgestellt zu sein, dass wir mit den Bewegungen des Berges hier und jetzt mitzugehen imstande sind und die Gunst der jeweiligen Stunde zu nutzen wissen. In dieser volatilen Phase geht es vor allem darum, eine unerwartete, vielleicht radikal andere Gegenwart zu meistern. Das althergebrachte Unternehmensmodell ist dazu nur bedingt in der Lage.
FÜR statt GEGEN
Der Antrieb für unser Handeln spielt eine Rolle für das daraus resultierende Ergebnis. In der dem Militär entlehnten Vision eines Unternehmens können wir im Synonym-Wörterbuch verwandte Begriffe wie Streitmacht, Streitkräfte, Kriegsdienst, Armee etc. finden. Liegt der Sinn eines Unternehmens im Streiten, Krieg zu führen, sich zu wehren, als Armee aufzutreten? Oder liegt er darin, einen besonderen,
möglichst einzigartigen Beitrag für Kunden und das Unternehmensumfeld zu leisten?
Müssen wir den Markt tatsächlich als einen Kriegsschauplatz betrachten? Oder können wir ihn auch als einen Begegnungsort sehen? Auf den Punkt gebracht, lautet die grundsätzliche Frage: GEGEN oder FÜR? Worauf richtet sich unser Fokus, auf die Behauptung GEGEN die Konkurrenz oder auf ein zugewandtes Nutzen-Stiften FÜR den Kunden? Im FÜR liegt die Kraft, werden Verantwortung, Kreativität, Begeisterung mobilisiert. Wir sind immer Teil eines größeren Ganzen und die Natur gibt uns vor, uns in dessen Dienst zu stellen.
Jenseits unserer Eisscholle
Noch ein zentrales Charakteristikum unserer Zeit ist die Komplexität: Alles ist mit allem eng vernetzt, alles hat Wirkung auf das Ganze und das Ganze wirkt auf das Einzelne. Sie erlaubt uns nicht mehr, die Welt von nur einem Standpunkt aus zu betrachten. Jeder Standpunkt, jede Meinung, jede Bedeutung, die wir einer Situation zumessen, sie sind nur ein kleiner Ausschnitt der Wirklichkeit. Anstatt auf dem Eigenen zu beharren, braucht es die interessierte Offenheit für das Unterschiedliche. Indem wir das Unterschiedliche miteinbeziehen und den Blick auf das Ganze richten, dessen Teil wir sind, finden wir zu Entscheidungen, die der Komplexität unserer Welt gerecht werden, Entscheidungen, die im
Ganzen die richtigen sind und deshalb auch im Einzelnen. Jedoch auch dazu eröffnet uns die in einer längst vergangenen Vergangenheit wurzelnde Unternehmenslogik keine Möglichkeit, die alles ausschließlich aus dem Blickwinkel des eigenen Vorteils aus betrachtet.
4 Schlüssel für Unternehmen
Der Welt im Wandel entspricht:
Fazit
Wir Menschen sind resilient und wir sind fähig dazu, uns spontan auf eine neue Gegenwart
einzustellen. Ein auf den Prinzipien des Militärs und der Maschine aufbauendes Unternehmen ist
es nicht. Wir können den Blick für das Ganze öffnen, wir können uns als ein konstruktives Element
im Rahmen eines größeren Ganzen einbringen. Die Überlebenslogik des traditionellen
Unternehmensmodells reicht dazu nicht aus. Wir sind Menschen mit Herz, mit Unternehmergeist,
mit Lebensfreude, mit Lebenslust und mit einem inneren Feuer. Uns braucht das Unternehmen
und wir brauchen eine Art von Unternehmen, die uns nicht nur im materiellen Sinn nährt, sondern
in unserem ganzen Menschsein erfüllt.
Das Bild vom Eisbären, der hilflos auf einer schmelzenden Eisscholle durch den Ozean treibt, muss nicht unser Schicksal als Unternehmen sein. Das Eis bröckelt unter uns weg, also sind wir gefordert, neue Wege zu finden, neue Kategorien für unser Denken und Handeln. Solche, die nicht nur unser Existieren sicherstellen, sondern solche, die uns und den Planeten zu einem besseren Leben führen.
Wolfgang Stabentheiner zählt zu Europas Coachingpionieren der ersten Stunde. 1990 gründete er FUTURE und entwickelte das erste ICF-zertifizierte Coachingprogramm im deutschen Sprachraum. Er wirkt international als Coach, Autor, Seminarleiter und Vortragender.
Mehrfach rankte man ihn unter die Top 100 der inspirierendsten Menschen im deutschen Sprachgebiet.
Im Laufe der letzten 30 Jahre haben sich ihm an die 2000 Führungskräfte in Seminaren, Coachings und Beratungen anvertraut. Er hat hunderte von Coaches aus vielen Ländern Europas ausgebildet und ungezählte Unternehmen in wichtigen transformatorischen Prozessen begleitet. Seit 2019 widmet er sich der Entwicklung für Privatpersonen mit
RICHTIG GUT LEBEN und dem Wachstum für Unternehmen mit BeCause.
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